ARCHITEKTURTRÄUME & JAZZ-VIBES
15. November 2025 · 11 Min. Lesezeit
Bei meinem Zwischenstopp am Flughafen Zürich treffe ich eine liebe Freundin, die mich freundlicherweise mit wärmeren Kleidern ausstattet – für die kühleren Temperaturen, die mich auf der nächsten Etappe meiner Reise erwarten. Am 18. September steige ich in ein weiteres Flugzeug – diesmal nach Chicago, eine meiner absoluten Lieblingsstädte.
Ich muss zugeben: Angesichts all dessen, was dieses Jahr in den USA passiert ist, war ich zunächst unschlüssig, ob ich diesen Stopp wirklich einlegen sollte. Doch nach einigem Nachdenken stand fest – niemand sagt mir, was ich tun darf oder nicht. Ausserdem hatte ich meiner Freundin zugesagt, während ihrer Abwesenheit auf ihre Katze aufzupassen, während sie eine Hochzeit besuchte – also: Chicago ich komme. Eines war allerdings klar: Ich würde nicht mit meinem kanadischen Pass einreisen. Zum Glück habe ich die doppelte Staatsbürgerschaft – und noch mehr Glück, dass ich einen Schweizer Pass besitze, eines der begehrtesten Reisedokumente der Welt.
Noch in Bali hatte ich recherchiert, welche Einreisebestimmungen für die USA aktuell gelten. Ganz ehrlich: Die Informationen im Internet waren verwirrend. Mit einem mulmigen Gefühl, etwas übersehen zu haben – und all den beunruhigenden Schlagzeilen in den Medien im Hinterkopf – füllte ich schliesslich das ESTA-Formular aus. Schon beim ersten Schritt hatte ich das Gefühl, sämtliche Rechte als Mensch abzugeben. Ziemlich verstörend. Und selbst nachdem ich alle Fragen der US-Behörden beantwortet hatte, blieb dieses seltsame Gefühl, ich könnte irgendetwas vergessen haben – vielleicht irgendein imaginäres Vergehen. Keine angenehme Erfahrung, das kann ich dir sagen.
Sonne, Strand – und ein unangenehmes Erwachen
Nach über einer Stunde am Zoll empfängt mich meine Freundin mit einem riesigen Lächeln und einer Bärenumarmung. Die „Windy City“begrüsst mich mit Sonnenschein und sommerlicher Stimmung – was für ein warmer Empfang!
Eigentlich hatte ich kühleres Wetter erwartet, doch ich werde angenehm überrascht. Chicago geniesst herrliche Spätsommertemperaturen, und ich kann viele Tage an den traumhaften Stränden am Seeufer verbringen – nur zehn Minuten zu Fuss von der Wohnung entfernt. Ich halte meinen südostasiatischen Teint und kühle mich im Lake Michigan ab. Es fühlt sich gleichzeitig surreal und wunderbar an: eine unerwartete dreiwöchige Verlängerung des Sommers!
Von Edgewater im Norden – wo meine Freundin direkt am See wohnt – bis zum Jackson Park im Süden zieht sich der fast 30 km lange Lakefront Trail für Radfahrer und Fussgänger (siehe Notizen). Was für eine grossartige Idee, den See allen zugänglich zu machen! Wir leihen uns Divvy-Bikes und radeln bis ins Zentrum, strahlend von einem Ohr zum anderen. Die Hälfte des Trails – geschafft! Stolz gönnen wir uns einen klassischen Chicago Hot Dog.
Auf dem Rückweg halten wir an einem der Strände entlang des Trails, um den Sonnenuntergang zu beobachten, die Herzen voller Freude. Danach geben wir die Bikes zurück und gönnen uns tibetische Momos und einen der besten frischen Mango Lassis, die ich je hatte, im neuen Kathmandu Café (siehe Notizen).
Das böse Erwachen kommt am nächsten Tag: Meine Freundin sieht ihre Kreditkartenabrechnung – jedes Bike hat mehr als 50 USD gekostet 😳🥵. Anscheinend haben wir das Zeitlimit überschritten. Keine Warnung, keine Möglichkeit, auf den Tagespreis von 18 USD umzusteigen. Frech! Ich würde sagen, Kundenzufriedenheit sollte mehr zählen, als ein paar extra Dollar herauszupressen. Lektion gelernt – nächstes Mal lese ich das Kleingedruckte. Ab da bin ich entweder gelaufen oder mit dem Bus gefahren.
Katzenmamma für einige Tage
Nach meiner ersten Woche in Chicago steht jetzt Katzenbetreuung auf dem Programm, während meine Freundin unterwegs ist. Tegan und ich hatten uns bereits bei meinem kurzen Besuch im November 2024 kennengelernt. Obwohl er sehr schüchtern ist und kaum von den Freunden meiner Gastgeberin gesehen wird, mochte er mich auf Anhieb – also war ich ganz entspannt.
Ich liebe Katzen gerade wegen ihrer Unabhängigkeit. Alles, was Tegan wirklich will, ist Futter – aber er geniesst es auch, gekrault zu werden, liebt Kuscheleinheiten und sitzt still auf meinem Schoss, während ich einen Film schaue. Wir sind ein tolles Team, und ich muss zugeben: Ich geniesse es richtig, seine Katzenmama zu sein.
Braucht jemand eine Katzenbetreuung? Ruf mich an!😄
All That Jazz
Chicago ohne Jazz oder Blues? Unvorstellbar. Mein Vater war ein echter Jazz-Fan, und obwohl ich anfangs etwas Zeit brauchte, um mich an die manchmal eher unharmonischen Töne zu gewöhnen, war ich sofort Feuer und Flamme, sobald ich meinen Jazz-Stil gefunden hatte. Besonders den Blues – den muss man einfach lieben.
Schon am ersten Wochenende geht es zum Englewood Jazz Festival (siehe Notizen) auf Chicagos South Side – fünf Tage pure Musik mit vielen jungen, aufstrebenden Künstlern. Und das Beste: alles kostenlos!
Im Community Center im Hamilton Park werden wir schon vom Klang der Musik begrüsst, bevor wir überhaupt das Gebäude betreten. Die Atmosphäre ist lebendig – leuchtende Farben, atemberaubende afrikanische Stoffe, mitwippende Füsse, Leute, die sich im Takt wiegen, manche tanzen schon. So viel Energie, so viel Soul.
Eine Woche später, während meine Freundin unterwegs ist, besuche ich das 19. Hyde Park Jazz Festival (siehe Notizen) – zwei randvolle Tage voller Musik, ebenfalls kostenlos. Eine Spende von 10 USD fühlt sich wie ein kleines Dankeschön für ein solches Geschenk an die Gemeinschaft an.
Das Line-up ist unglaublich, mit internationalen Künstlern und Grammy-Gewinnern. Besonders berührt mich The JuJu Exchange – Kindheitsfreunde, die Genres mischen und mit ihrer Musik gesellschaftliche Themen ansprechen. Einfach inspirierend.
Dann gibt es Maurice „MoBetta“ Brown – ein bisschen ein Wildfang, aber was für ein Trompeter! Kein Wunder, dass er als Teenager den nationalen Miles Davis Trumpet Competition gewann und später mit Aretha Franklin, Wyclef Jean und Macy Gray aufnahm.
Wenn die Sonne untergeht und die Musik die Luft erfüllt, können die Leute nicht anders, als sich zu bewegen. Ich mische mich unter sie – verliere mich im Rhythmus, wippe mit den Hüften wie eine Latina im Herzen, schwebe in purer Freude. So fühlt sich Freiheit an.
Für weitere Jazz- und Blues-Locations siehe Notizen.
John Primer & The Real Deal Blues Band (Rosa’s Lounge)
Ein Paradies für Architektur-Liebhaber
Während der Sommer immer noch anhält, sehne ich mich nach städtischem Flair. Egal, wie oft ich schon durch Chicagos Strassen geschlendert bin – die Architektur fasziniert mich immer wieder. Ich bin ein grosser Fan von Art Déco, und hier gibt es jede Menge zu bewundern.
Eine fantastische Möglichkeit, noch tiefer einzutauchen, bietet eine Tour des Chicago Architecture Center (CAC, siehe Notizen). Normalerweise erkunde ich Städte lieber auf eigene Faust, aber ihre Touren sind aussergewöhnlich – jeden Dollar wert. Ich empfehle Erstbesuchern in Chicago sehr, die „CAC River Cruise aboard The First Lady“ zu buchen, um den Sonnenuntergang zu erleben und Chicagos spektakuläre Skyline im Licht der Abendstunden zu sehen (ich habe die Tour letzten November gemacht). Ganz ehrlich – das ist mit Abstand eine der besten Touren, die ich je erlebt habe. Man bekommt nicht nur einen neuen Blick auf die Stadt, sondern auch viele spannende Einblicke in die Geschichte Chicagos und seine beeindruckende Skyline.
Nach der Lektüre von „The Devil in the White City“ von Erik Larson – ein brillantes Buch, das auf wahren Begebenheiten rund um die Weltausstellung 1893 basiert – musste ich einfach die CAC-Bustour mitmachen. Pensionierte Einheimische, die ihre Stadt lieben, führen uns zu Orten, die eng mit der Geschichte des Buches verbunden sind, inklusive schauriger Geschichten über Nordamerikas ersten Serienkiller H.H. Holmes, der während des Baus der Ausstellung im Jackson Park sein Unwesen trieb.
Wer Kriminalgeschichten liebt, die mit Geschichte und einem Hauch architektonischer Brillanz gewürzt sind, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Leider gibt es keine deutsche Übersetzung.
Frank Lloyd Wright: Der grosse Meister des Prairie-House-Stils
Wahrscheinlich kennt ihr das ikonische Solomon R. Guggenheim Museum in New York City, entworfen von Frank Lloyd Wright (FLW, siehe Notizen). Ich bin ein grosser Fan seiner Arbeiten und seines minimalistischen, von der Natur inspirierten Stils.
Wrights charakteristischer „Prairie School“-Stil (siehe Notizen) entstand in Chicago, wohin er 1887 zog. Die Arbeit unter Adler & Sullivan und die Beobachtung des Wiederaufbaus der Stadt nach dem Grossen Brand von 1871 prägten ihn nachhaltig. Seine Liebe zum Detail – von Möbeln und Teppichen bis zur Beleuchtung – ist bemerkenswert. In seinen Häusern lassen sich ausserdem zahlreiche japanischen Einflüsse erkennen.
Am letzten Sommertag besuche ich sein Haus und Studio in Oak Park und erkunde die Umgebung. Schon aus der Ferne sind FLWs Häuser unverkennbar.
Ein weiteres Muss ist The Rookery in der Innenstadt. Obwohl es nicht ursprünglich von Wright entworfen wurde, gestaltete er 1905 den beeindruckenden Lichthof und die Lobby um. Das 11-stöckige Gebäude von Burnham & Root ist ein architektonisches Juwel – Burnham war übrigens Direktor der Bauarbeiten bei der Weltausstellung 1893.
Ich könnte ewig über Chicagos dich Meisterwerke schreiben – aber wirklich, man muss es selbst erleben. Vielleicht inspiriert euch dieses Reise-Update, dieser unterschätzten Stadt eine echte Chance zu geben.
Notizen:
Lakefront Trail
Kathmandu Cafe
Englewood Jazz Festival
Hyde Park Jazz Festival
The JuJu Exchange
Maurice „MoBetta“ Brown
Rosa’s Lounge
Jazz Showcase
Green Mill (steht auf meiner Liste für meinen nächsten Besuch im April 2026)
Chicago Architecture Center
Frank Lloyd Wright
Prairie School & The Prairie Style
The Rookery
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